ERÖFFNUNG EINES GESPRÄCHS
Friedrich Achleitner
Wechselbeziehungen von Bauwerk und Intervention liefern a priori ein breites Band von Lesearten oder Interpretationsmöglichkeiten. Spannender wird es erst, wenn die vorgefundene Räumlichkeit selbst einen hohen Grad von Mitteilung besitzt, das heißt, sich als ein wie immer offenes oder geschlossenes ästhetisches System darstellt.
Je „lesbarer" und definierter dieses System ist, umso größer kann der Gewinn aus einem Dialog sein, umso riskanter ist es aber auch, sich darauf einzulassen. Natürlich hängt es auch davon ab, welchen Gewinn man aus einem solchen „Gespräch" erwartet: die Intervention kann einmal dazu beitragen, das vorhandene System selbst zur präziseren Artikulation zu zwingen, das hieße konkret, Wittgensteins Absichten noch deutlicher wahrnehmbar zu machen. Ein anderes Ziel wäre, mit Hilfe des Vorhandenen dem Eigenen, Neuen eine Basis zu geben, es also von vornherein auf eine höhere Dialogebene zu hieven, eine Methode, deren Redlichkeit wohl in der taktvollen Dosierung läge. Eine dritte, nicht minder riskante, könnte in einem echten Dialogversuch liegen, aus dem beide Partner zumindest zur besseren Klärung des "Tatbestands" beitragen.
Das sind natürlich Vorstellungen eines Architekten, der zumindest die bedingte Gleichheit der sprachlichen Mittel als gegeben ansieht. Daß sich hier semantische Fallen auftun, ist mir klar, vielleicht führt auch ihr Zuschnappen zu Informationen über den Sachverhalt. Vermutlich ist jede Art von Installation - ich verwende absichtlich Installation und Intervention gleichwertig - mehr oder weniger eine Mischung der oben angeführten Dialogformen. Vermutlich aussichtslos wäre ein Dialogansatz, wenn nicht durch die Intervention selbst die Gesprächsbasis eingeengt, ja auf bestimmte Fragen begrenzt werden würde.
Man könnte vorweg behaupten, es sei unmöglich, einem zwar widersprüchlichen, aber subjektiv doch geschlossenen ästhetischen System Wittgensteins über das Sichtbare hinaus noch Informationen abzuringen. Die Problematik liegt in der Charakteristik der Architektur des Hauses, die einen merkwürdigen Zwischenbereich zwischen Konvention und Erfindung, Ererbtem und Über-Bord-Geworfenem darstellt. Sie zeigt nicht nur ein Spiel von Regel und Abweichung, von Harmonisierung und Störung, sondern ist schon eher eine gesellschaftliche Metapher der Verabsolutierung und der lnfragestellung eines absoluten, also aristokratischen Architekturbegriffs in einem. Die Proportionierung der Räume, der schmalen, hohen Türen und Fenster mit den durch Halbierung zwangsläufig sehr hoch liegenden Griffen oder die sich resistent immer wieder durchsetzenden Achsen sind Relikte einer absolutistischen Architekturauffassung, die, wenn man im Bild bleiben will, sich ausweglos in rationalistisch bürgerliche Verhältnisse verheddert haben. Es ist eine Ästhetik, die trotz der gewählten Armut noch reich bleibt, deren Purismus ohne überwundener Fülle nicht denkbar ist. So gesehen wäre die erste Intervention (das monumentale, mechanistische Fotoobjekt) in der Achse der Eingangshalle keine Bedeutungsverschiebung oder Transformation, sondern eben eine einfache Steigerung, die einen klaren Sachverhalt, jenen der Axialität, betont. Es wird etwas, das räumlich angelegt und auch nicht verheimlicht ist, in seiner Wirkung unterstrichen. Man könnte hier also kritisch die Frage nach dem Dialog stellen.
Komplexer vernetzt erscheint mir schon die Installation in der mittleren Raumgruppe, deren geometrische Beziehung nicht so leicht entschlüsselbar ist. Genaugenommen handelt es sich um zwei Eingriffe, einen dialogischen und einen eher monologischen. Die sich illusionistisch in ein Raumtragwerk auflösende Fotofläche diffundiert eine Achsenbeziehung, um sie allerdings, an der Wand, in eine Kollision zu verwandeln. Diesen Eingriff konterkariert eine über Eck geführte (fokusierte) Streifenspiegelung, die einen anderen Raumzusammenhang herstellt und ein von Wittgenstein eher in Ruhe gelassenes Eck aus dem Schweigen herausreißt. Hier wird, um beim Dialogaspekt zu bleiben, dieser entweder nicht gesucht oder ganz an sich gerissen. Man könnte die Wittgensteinsche Architektur - zumindest in den Wahrnehmungsrelationen seiner Zeit - eine monologisierende bis schweigende bezeichenen. Zumindest verweigert sie sich bestimmter Fragen oder entlarvt diese als Scheinfragen. So gesehen hätte jede Zeit neue Fragen zu stellen.
Die Installationen von Schlegel & Teckert dringen in diese Problematik vor. Zu einem feinen, fast „knisternden" Dialog kommt es dann im ehemaligen Speisesaal, wo der „unregelmäßige" Plattenraster (in einem einfach geometrischen Sinne) mit einem „regelmäßigen" (als geometrisches Wunschbild) Fassadenraster überlagert wird, so daß eine lesbare, sinnlich wahrnehmbare Beziehung beider Ordnungssysteme entsteht. So faszinierend diese Methode vor Ort ist, so entfernt sie sich gleichzeitig (paradoxerweise) am weitesten vom eigentlichen Raum, da sie den Boden, als Fläche, zum selbständigen Ereignis macht. Auch hier „überlebt" das Kunstwerk ,und-,,unterliegt" (im wahrsten Sinne des Wortes) der Dialogpartner. Nun, man kann natürlich auch den Spieß umdrehen: Wittgensteins Harmonisierungen zeigen schon ein beachtliches Potential an Gewalt, ja an Nötigung. Die omnipotente Maßregelung verdinglicht einen absoluten Herrschaftsanspruch. Installationen leben, wenn sie gut sein und eine Wirkung haben sollen, von ähnlichen Eigenschaften.
Vielleicht war meine Erwartung des Dialogs eine von vornherein falsche, eben eine architektonische Erwartung. Vielleicht geht es auch nicht darum etwas Schweigendes zum Sprechen zu bringen oder, drastischer formuliert, aus seinem semantischen System hinauszukippen. Vielleicht ging es Christof Schlegel und Christian Teckerl einfach darum, sich in einem fest gefügten Bezugsrahmen zu artikulieren, also umgekehrt, aus dem eigenen Schweigen mit Hilfe eines anderen auszubrechen.
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